Lesedauer: min

 Young female technician looking into microscope in medical laboratory

Fachartikel zu Karies: Fluoride als Prävention

 

Autoren: Prof. Dr. Elmar Hellwig, Prof. Dr. Adrian Lussi

 

Unter dem Motto „Zahnmedizin – mehr als ein gesundes Lächeln“ lud CP GABA zum Symposium nach Köln ein. Die Veranstaltung bot unter anderem ein aktuelles Update zur Prävention und Behandlung der Karies. Speziell zur Rolle der Fluoride standen Prof. Dr. Adrian Lussi, ehemaliger Klinikdirektor der ZMK Bern, und Prof. Dr. Elmar Hellwig, Ärztlicher Direktor, Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie des Universitätsklinikum Freiburg, in einem Interview Rede und Antwort.

Für wie wichtig halten Sie Fluoride und warum?

Prof. Dr. Elmar Hellwig: Fluoride sind für die Kariesprävention unabdingbar. Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die klar zeigen, dass das Kariesrisiko steigt, wenn man keine Fluoride zuführt. Es gibt beispielsweise vom Cochrane-Institut mehrere Untersuchungen bzw. Reviews, aus denen ersichtlich wird, dass Fluoride auf unterschiedliche Art und Weise die Kariesprävention unterstützen.

Prof. Dr. Adrian Lussi: Das sehe ich genauso. Man muss regelmäßig Fluoride zuführen, damit immer ein kleiner Spiegel von Fluorid in der Mundhöhle vorhanden ist. Es gibt Studien, die zeigen, dass Kinder mit 0,04 ppm Fluorid im Speichel kariesärmer sind als Kinder mit 0,03 ppm Fluorid. Mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta, 2- oder auch 3-mal täglich eingesetzt, erreicht man für eine gewisse Zeit den nötigen Spiegel und entfernt auch noch die Plaque.

Was stört Sie an der Fluorid-Diskussion besonders?

Lussi: Mich stört, wenn Fluoride, die Salze sind, gleichgesetzt werden mit Fluor, was ein Gas ist. Denn man sagt auch nicht, Kochsalz sei Chlorgas. Das ist genau die gleiche Ebene. Chlor ist ein Gas und giftig, und Kochsalz ist ein Salz und nicht giftig.

Hellwig: Mich stört, wenn behauptet wird, dass Fluoride körperfremde Stoffe wären. Wenn man weiß, dass Fluoride im menschlichen Knochen enthalten sind, und auch mit der täglichen Nahrung oder mit Getränken – sogar teilweise mit Wasser – aufgenommen werden, verdeutlicht das vielleicht die Unsinnigkeit dieser Behauptung.

Lussi: Dem stimme ich vollkommen zu. Fluoride sind beispielsweise auch in Meeresfrüchten, frischen Muscheln usw. enthalten.

Ist Karies überhaupt noch ein Thema?

Lussi: Ich finde schon. Die Menschen werden dank der verbesserten Medizin älter, d.h. die Wurzelkaries wird mit einer alternden Gesellschaft eher zunehmen. Zudem gibt es viele Kleinkinder, beispielsweise aus sozialen Brennpunkten oder anderen Kulturkreisen, die massiv Karies haben.

Hellwig: Wir haben die Erfolge dadurch erzielt, dass wir fluoridhaltige Präparate, insbesondere fluoridhaltige Zahnpasta, verwendet haben. Davon hängt jedoch auch die Nachhaltigkeit dieser Entwicklung ab. Wenn man damit aufhört, wird sich die Zahngesundheit wieder verschlechtern.

Lussi: Und gerade bei Leuten, die nicht so auf ausgewogene Ernährung achten, ist es noch wichtiger. Wenn jemand sich gesund ernährt und optimal Zähne putzt, muss der- oder diejenige kein Fluorid zuführen – theoretisch. Aber niemand ernährt sich in dieser Hinsicht zu 100% vollkommen.

Wie ist das Thema Ernährung einzuordnen und was hat sich in den letzten Jahren geändert?

Hellwig: Es hat sich schon einiges geändert, aber nach wie vor ist Zucker ein Thema. Zucker spielt sowohl bei Parodontitis als auch bei Karies eine wichtige Rolle. In Deutschland wird etwas mehr als 30 kg Zucker pro Kopf im Jahr gegessen. In den Medien wurde kürzlich veröffentlicht, dass die Kinder in Deutschland bereits im August die von der WHO empfohlene Menge Zucker für ein Jahr erreicht hatten [1]. Das heißt, wir haben immer noch zu viel Zucker in der Nahrung, insbesondere bei zuckerhaltigen Getränken wie Softdrinks. Zucker spielt also nach wie vor bei vielen Erkrankungen – auch im Mundraum – eine wesentliche Rolle. Auch bei älteren Menschen, die vielleicht nicht mehr so gut kauen können und deren Geschmacksempfinden eventuell nachlässt, wird unter Umständen mehr Zucker verwendet. Zudem verweilt die Nahrung bei diesen Menschen auch noch länger im Mund und verursacht damit Probleme mit der Mundgesundheit.

Lussi: Zucker ist heute aber auch in sehr vielen Lebensmitteln vorhanden. Beispielsweise in vermeintlich gesundem Nahrungsmittel wie Joghurt. Hier werden teilweise Produkte mit 15% Zucker und mehr angeboten. Es gibt zwar Bestrebungen, diese Mengen herunterzusetzen. Aber selbst, wenn das gelingt, gibt es noch viel zu tun.

Hellwig: Menschen in Deutschland konsumieren teilweise doppelt so viel Zucker als es die Empfehlungen der WHO vorsehen.

Lussi: Das ist in der Schweiz genauso. Dort sind es sogar 40 kg Zucker pro Jahr, die pro Kopf konsumiert werden.

Hellwig: Es geht hier aber nicht darum, Zucker zu verteufeln. Denn es gibt auch sogenannte zuckerfreie Nahrungsmittel, die zwar keine Saccharose, dafür aber anderen Zucker enthalten.

Lussi: Da wird in der Werbung viel Schindluder getrieben. Es heißt dann zwar „zuckerfrei“, aber es ist trotzdem Zucker enthalten, der auch Karies verursacht.

Hellwig: Inzwischen gibt es auch in Deutschland Bestrebungen, eine Zuckersteuer einzuführen. Großbritannien hat dies bereits umgesetzt.

In Bezug auf Karies – welche Entwicklung wünschen Sie sich für die nächsten Jahre?

Lussi: Ich würde mir wünschen, dass die Wurzelkaries sicher unter Kontrolle gebracht werden kann. Das ist ein wachsendes Problem. Im Alter kann nicht mehr richtig geputzt werden, wenn die Handfertigkeit nachlässt und die Zahnhälse länger werden. Das sind andere Voraussetzungen für die Mundhygiene.

Hellwig: Das sehe ich genauso. Ich habe immer mehr ältere Patienten mit vielen eigenen Zähnen, die immer eine gute Mundhygiene hatten und plötzlich mit zunehmenden Einschränkungen konfrontiert sind. Man kann z.B. nicht mehr richtig putzen, weil es an manueller Geschicklichkeit mangelt. Daraus kann sich dann sehr schnell eine Munderkrankung entwickeln. Für diese Probleme gibt es heutzutage leider noch keine vernünftige Versorgung. Ein weiterer Wunsch wäre, dass sich die Eltern bei kleinen Kindern noch stärker um das Zähneputzen kümmern. Da besteht weiterhin Nachholbedarf, vor allem in sozialen Brennpunkten.

Lussi: Das ist in der Schweiz ähnlich. Es bleibt den Erzieherinnen überlassen, wie intensiv sie sich um das Thema Zahnhygiene in Kitas oder Kindergärten kümmern. Viele in der jüngeren Generation wissen auch gar nicht mehr, was Karies ist. Das ist ein Teufelskreis: Da es weniger Karies in bestimmten Altersgruppen gibt, wird das Thema nicht mehr als so wichtig angesehen – und genau darin liegt dann auch die Gefahr, dass die Krankheit wieder stärker zunimmt.

Herr Professor Lussi, Herr Professor Hellwig, besten Dank für das Gespräch.

Quelle:

[1] Zu viel Zucker in Lebensmitteln: https://www.zdf.de/kinder/logo/erklaerstueck-zucker-in-lebensmitteln-100.html